When Blockchain?

Lukas Fiedler

17.07.2023 00:34

When Blockchain?Blockmagazin

Wann machen Blockchain-Lösungen wirklich Sinn? Berater Nicklas Urban hat ein Entschei- dungsmodell entwickelt, an dem sich mögliche Anwendungsfälle überprüfen lassen – und das für passende Projekte gleich die richtige Tech- nologie mitliefert.

Wer die aktuelle Entwicklung im Blockchain-Bereich aktiv verfolgt, wird feststellen, dass Pilotprojekte regelmäßig wieder eingestellt werden, sich Prototypen nicht durchsetzen und Coins bzw. Tokens teils schnell wieder an Wert verlieren und kaum noch gehandelt werden. 

Dies ist jedoch nicht nur ein Empfinden, sondern wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach untersucht. Initial wurde die Überlebensrate von kommerziellen als auch nicht kommerziellen Blockchain-Projekten innerhalb einer Studie von Deloitte auf nur rund acht Prozent beziffert. Weitere, jüngere Analysen haben ein ähnliches Bild gezeigt. Doch woran liegt das? 

Viele Unternehmen befassen sich nach wie vor mit der Thematik und investieren in diverse Projekte, wobei Blockchain oftmals als wichtige Innovation betrachtet wird. Bei Betrachtung und Evaluierung potenzieller Projekte werden jedoch oftmals zwei Punkte nicht oder nur sehr unvollständig beleuchtet. 

(1) Insbesondere in Innovationsumfeldern wird oftmals die Bewertung der tatsächlichen Relevanz bzw. des Eignungsgrads der Blockchain-Technologie für den konkreten Anwendungsfall nicht vollumfänglich betrachtet. Dies führt immer wieder zur Realisierung von Blockchain-Projekten, die im Kern durchaus hätten auf einer anderen Technologiebasis aufgebaut werden können bzw. sollen. 

(2) Weiterhin basiert Blockchain immer auf einem Netzwerk, wodurch der Ökosystem-Gedanke essenziell ist. Ein Blockchain-Netzwerk und Anwendungsfall kann nicht ohne ein passendes Ökosystem funktionieren. Doch um dies zu realisieren und die notwendigen Partner für das Netzwerk zu gewinnen, gilt es, den konkreten Mehrwert für das gesamte Netzwerk sowie für jeden einzelnen Partner klar zu identifizieren und herauszustellen. 

Ziel des Blockchain-Entscheidungsmodells ist es, ein ganzheitliches Vorgehensmodell zu liefern, welches den Weg zum richtigen und zielführenden Blockchain-Anwendungsfall ebnet. Dazu bietet dieses Framework bereits vor dem Start eines Blockchain-Projekte die Möglichkeit, die folgenden bei- den Fragen zu beantworten: Ist Blockchain wirklich die geeignete Technologie für die Realisierung des spezifischen Anwendungsfalls? Und wenn ja, welche Art der Blockchain eignet sich am besten für die Realisierung? 

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DAS BLOCKCHAIN-ENTSCHEIDUNGSMODELL 

Zur Beantwortung dieser Fragen dient das Blockchain-Entscheidungsmodell, mit dem sich potenzielle Anwendungsfälle auf ihre Blockchain-Eignung bereits vor der Umsetzung fundiert bewerten und erste Ideen auf dieser Grundlage bereits priorisieren lassen. Für die Anwendung ist weder langjährige Blockchain-Expertise noch tiefes Technologiewissen erforderlich. 

Um den potenziellen Anwendungsfall ganzheitlich zu betrachten, prüft das Modell die drei Kriteriengruppen Ökosystem-Struktur, Technologie sowie Transaktionsdaten und Rollen & Rechte separat voneinander. Ziel der ersten beiden Gruppen ist es, grundlegend zu prüfen, ob Blockchain als geeignete Technologie zum Einsatz kommen sollte. Die dritte Gruppe legt ergänzend den Fokus auf die Prüfung von Konfigurationsideen in Bezug auf die Datenverarbeitung und -haltung, Anforderungen an Transparenz und Privatsphäre sowie ein mögliches Rollen- und Rechtesystem. Dabei werden zudem nicht realisierbare Kombinationen von Anforderungen identifiziert. 

Das Blockchain-Entscheidungsmodell ist ein Flow-Chart-Diagramm von Nicklas UrbanNicklas Urban, Martin Kaumanns
Das Blockchain-Entscheidungsmodell von Nicklas Urban hilft bei der Beantwortung der Frage, ob eine Blockchain-Lösung für ein Projekt überhaupt in Betracht gezogen werden sollte.

DaANWENDUNG DES MODELLS 

Um die Anwendung so leicht wie möglich zu gestalten und gleichzeitig den bestmöglichen Mehrwert zu bieten, sind alle Kriterien als Frage formuliert. Diese sind in Bezug auf die konkrete Anwendungsidee jeweils mit Ja oder Nein zu beantworten. Dabei sind die drei oben genannten Kategorien verschiedener Kriterien zu durchlaufen. Die beiden ersten Felder, die organisatorischen und technologischen Grundanforderungen, gelten als Basisvoraussetzungen zur Prüfung, ob die Blockchain- Technologie für den vorliegenden Anwendungsfall grundsätzlich geeignet ist. Führt die Antwort einer dieser Fragen zum Feld keine Blockchain, so sollte für die Umsetzung nicht auf Blockchain gesetzt werden. Vielmehr ist in diesen Fällen zumeist eine zentrale oder geteilte Datenbank zielführender. 

Zusätzlich befinden sich Soll- und Kann-Kriterien im Modell. Soll-Kriterien sind Voraussetzungen, die erfüllt sein sollten, um Blockchain überhaupt als sinnvolle Technologie einsetzen zu können. Das Erfüllen von Kann-Kriterien hebt hingegen besonders geeignete Anwendungsfälle hervor (eine Art Bonus-Kriterium), schließt bei Nichterfüllung jedoch keine Idee vollständig aus. 

Nach Prüfung, ob die Idee grundsätzlich relevant für Blockchain ist (Gruppe 1 & 2 sind ohne Abbruch zu durchlaufen), gibt das Modell im dritten Abschnitt Auskunft darüber, welche Art bzw. Konfiguration der Blockchain optimal einsetzbar ist. Im Ergebnis unterscheidet das Modell zwischen den in der Tabelle aufgeführten Kerneigenschaften verschiedener Blockchain-Frameworks und bietet schlussendlich das Fundament für die Konzeption der Gesamtlösung in Zusammenarbeit mit einem fundierten Blockchain-Architekten. 

KRITERIEN-GRUPPE 1: ÖKOSYSTEM-STRUKTUR 

Die erste Gruppe untersucht das Ökosystem, welches der Anwendungsidee zugrunde liegt, auf seine Eignung für den Einsatz der Blockchain. Der besondere Fokus liegt auf den potenziellen Teilnehmern, derer Zusammenarbeit im Netzwerk sowie deren Transaktions- und Vertrauensverhältnis. 

Die Kerneigenschaft eines Blockchain-Netzwerks besteht in der nicht manipulierbaren Speicherung von Transaktionen durch das verteilte Ledger sowie die verteilte Konsensbildung. Dadurch wird Vertrauen zwischen einander unbekannten Teilnehmern ohne eine zentrale Instanz geschaffen. Zur Sicherung dieser Eigenschaften ist jedoch eine ausreichende Anzahl an Netzwerkteilnehmern essenziell, wobei der Mehrwert parallel für das Ge- schäftsnetzwerk mit steigender Teilnehmerzahl meistens ebenfalls steigt. Je mehr Teilnehmer des heutigen Ökosystems Teil des Blockchain-Netzwerks sind, desto weniger Transaktionsverbindungen werden außerhalb der Blockchain benötigt. Das Blockchain-Netzwerk wird somit zur Single Source of Truth und zum Single Point of Access, ohne jedoch eine zentralisierte Lösung zu etablieren. In Summe ergibt sich eine Untergrenze von mindestens drei Netzwerkteilnehmern. 

Im Kern einer jeden Blockchain-Anwendung steht die Schaffung einer Basis für vertrauensvolle und nachvollziehbare Transaktionen zwischen Organisationen, die sich bisher nicht vertrauen, und ist damit ebenfalls essenzielle Grundvoraussetzung für den sinnvollen Einsatz der Technologie. 

Da das Vertrauen auf Basis der Architektur geschaffen wird, können fortan Intermediäre (z. B. Banken, Vermittler) als zentrale Vertrauensstelle (ZVS) im Netzwerk entfallen, wodurch sich oftmals parallel die Transaktionskosten und Durchlaufzeiten verringern. Der Benefit zahlt sich auf organisatorischer Ebene aus, sobald die ZVS ausgespart wird oder sich im Netzwerk gar keine identifizieren lässt (primär im Bereich der Supply Chains). Weiterhin ergeben sich zusätzliche Effizienzen, wenn die ZVS bisher zu Konflikten und Engpässen im Prozess geführt hat. 

Bei allen Vorteilen des verteilten Netzwerks wird zugleich die Umsetzung neuer Geschäftsregeln (Implementierung neuer Smart-Contracts) innerhalb des Netzwerks erschwert. D. h. ändern sich die Geschäftsregeln häufig, ist damit ein erhöhter Aufwand (organisatorische Abstimmung und technische Entwicklung inkl. Update) verbunden, der die Mehrwerte schmälert, jedoch Blockchain als Lösung nicht vollständig ausschließt. 

Permissioned vs. Permissionless Blockchain: Unterscheidung zwischen öffentlicher / permissionless (z. B. Bitcoin, Ethereum) und zugangsbeschränkter / permissioned Blockchain (z. B. Hyperledger Fabric, Corda). D. h. kann ein öffentliches Netzwerk genutzt werden, auf welches jeder frei zugreifen (Transaktionen lesen, schreiben, validieren)? Oder wird ein nicht-öffentliches Netzwerk benötigt, in dem jeder Teilnehmer gezielt hinzugefügt werden muss und somit klar identifizierbar ist. In permissioned Blockchains sind zudem i. d. R. deutlich effizientere Konsensmechanismen sowie eine deutlich verbesserte Datenverarbeitung möglich.
Private vs. Public Blockchain: Die Eigenschaft private bezeichnet ein zusätzliches Rollen- und Rechtekonzept im Blockchain-Netzwerk, wodurch gezielt Lese- und Schreibrechte gesteuert werden können (hauptsächlich in permissioned Blockchains eingesetzt). Public hingegen bedeutet, dass jeder Teilnehmer in einem Netzwerk über die gleichen Lese- und Schreibzugriffe verfügt. Hybrid-Blockchain: Für manche Anwendungsfälle wird sowohl ein öffentlicher (frei zugänglicher) und ein nicht-öffentlicher (permissioned) Netzwerkteil benötigt. Diese Netzwerke werden als Hybrid-Blockchain bezeichnet.
Oracle: Jede Schnittstelle der Blockchain nach außen wird als Oracle (engl.) bezeichnet. Sollen z. B. ERP- oder CRM-Systeme an die Blockchain angebunden werden oder werden Daten aus einem Webservice (bspw. Wechselkurse, Wetterdaten etc.) für eine Transaktion benötigt oder sollen Blockchain-basierte Tokens über eine Krypto-Börse gehandelt werden, so werden hierfür ebensolche Oracles eingesetzt.

KRITERIEN-GRUPPE 2: TECHNOLOGIE 

Die zweite Kriterien-Gruppe fokussiert die technologischen Anforderungen und prüft, ob sich diese auf Blockchain-Basis sinnvoll realisieren lassen. 

Die verteilte Netzwerkinfrastruktur schafft Vertrauen und Sicherheit vor Manipulationen, erfordert jedoch typischerweise zugleich mehr Ressourcen für die Verarbeitung einer einzelnen Transaktion als eine zentrale Datenbank. Daher eignet sich Blockchain derzeit noch nicht für die Durchführung von Massentransaktionen wie bspw. Kreditkartenzahlungen. Die gemeinsame Konsensbildung zwischen (un-)bekannten Organisationen ist ferner Kerneigenschaft der Blockchain-Technologie, wobei der geteilte Ledger und die Konsensalgorithmen die Integrität im Netzwerk sicherstellen und den Teilnehmern die Verifikation der Transaktionen ermöglichen. Gleichzeitig wird die Manipulation der Daten in der Blockchain verhindert. Wobei nicht jeder Anwendungsfall gleichermaßen das Erforder- nis nach einem gemeinsamen Konsens und der Nicht-Manipulierbarkeit der Daten haben muss. Vielmehr genügt es, dass eine der beiden Eigenschaften erforderlich ist, um Blockchain als sinnvoll zu erachten. Bspw. erfordert der Austausch von Statusinformationen innerhalb einer Lieferkette den gemeinsamen Konsens zwischen allen Teil- nehmern (jeder benötigt den gleichen Status zur selben Zeit), jedoch ist dieser nicht zwingend manipulationssicher vorzuhalten.

Agiert das Blockchain-Netzwerk zukünftig als Single Point of Access, spart dies zum einen viele individuelle Schnittstellen ein und verhindert oftmals zugleich Medien- und Systembrüche, die zu Fehlern im Datenaustausch und der Datenqualität führen. Zusammenfassend wird die Komplexität im gesamten Datenaustausch reduziert und Informationsasymmetrien entlang der Lieferkette vorgebeugt. 

Neben der Vertrauensbildung fungiert der geteilte Ledger zugleich als automatische Datensicherung. Fällt der eigene Netzwerkknoten aus, bleiben die Daten im Netzwerk als lokale Kopien auf den anderen Knoten erhalten und können wieder heruntergeladen werden, sobald der eigene Knoten wieder verfügbar ist. Dies sollte jedoch nur als Bonuskriterium bei der Bewertung gesehen werden. Im Sinne der eigenen Prozesssicherheit ist das Erfordernis eines Back-up-Knoten zu prüfen, um den ununterbrochenen Netzwerkzugriff sicherzustellen (Business-Contingency). 

KRITERIEN-GRUPPE 3: TRANSAKTIONSDATEN UND ROLLEN & RECHTE 

Sind die ersten beiden Cluster erfolgreich durch- laufen, ohne dass Blockchain als geeignete Technologie ausgeschlossen wurde, wird in Cluster drei eine konkrete Unterscheidung der einzelnen Konfigurationen der Blockchain vorgenommen. 

Das Modell differenziert hierzu zwischen den drei möglichen Kernarchitekturen der zugangsbeschränkten (permissioned), öffentlichen (permissionless) und hybriden Blockchains (als Kombination aus beiden Varianten). Erweitert wird diese Definition um die Option eines Rollenund Rechtesystems (privat & public) sowie die Erfordernis der Anbindung externer Systeme und Datenquellen durch Oracles. Weitere Details zu diesen Eigenschaften sind dem Schaukasten zu entnehmen. 

SICHERUNG GEISTIGEN EIGENTUMS 

Einzig in dem Modell nicht abgedeckter Anwendungsfall ist Blockchain als digitale Sicherung von geistigem Eigentum, Patenten oder sonstigen Daten. Zum Nachweis, dass eine bestimmte Datei, z. B. Dokumentation eines neuen Prototyps, zu einem definierten Zeitpunkt im eigenen Besitz war, kann der Hashwert dieser berechnet und in einer permissionless Blockchain geteilt werden. Zusätzlich muss man die Datei im eigenen Netzwerk un- veränderbar speichern. Später kann jederzeit erneut der Hashwert dieser Datei gebildet werden und mit dem in der Blockchain hinterlegten Wert abgeglichen werden. Stimmen beide Werte überein, ist der Beweis erbracht, dass die Datei seit dem Eintrag im Shared Ledger nicht mehr verändert wurde. Die rechtliche Anerkennung dieser Methode ist gegenwärtig noch ungeklärt. 

FAZIT 

In Summe bietet das Blockchain-Entscheidungsmodell nicht nur die Chance, verschiedene Anwendungsideen auf ihre Relevanz für den Einsatz der Blockchain-Technologie zu prüfen und vergleichbar zu bewerten. Vielmehr führt das Modell bereits eine Argumentation an, warum sich Blockchain für den spezifischen Anwendungsfall im Besonderen eignet und herkömmlichen Technologieansätzen überlegen ist. Dies hilft im Weiteren vor allem bei der Gewinnung potenzieller Netzwerkteilnehmer.